Dorothee Elmiger schreibt, als würde sie ein Fenster kippen und zugleich den Wind bitten, die Möbel umzustellen. „Die Holländerinnen“ ist kein Roman, der sich brav an eine Straße hält; es ist ein Gewebe aus Rinnsalen und Stromschnellen, ein Text, der nach Herkunft, Begehren und Erzählbarkeit tastet – und dabei immer wieder die eigene Sprache unterwandert. Was hier entsteht, ist weniger Handlung als Zustand: ein vibrierender Zwischenraum, in dem Figuren auftauchen wie Stimmen auf einem alten Tonband – nah, brüchig, aufgeladen. Elmiger hat ein feines Gehör für das Rauschen zwischen den Sätzen. Ihre Prosa ist porös und zugleich seltsam zwingend, wie ein Traum, den man nicht festhalten kann und der gerade deshalb nachwirkt.

Emotionen liegen in diesem Buch nicht blank, sie schimmern. Elmiger setzt auf Präsenz statt Pathos: eine Müdigkeit, die nach Freiheit riecht; zärtliche Verwirrung; das helle Klicken, wenn Erinnerung in Gegenwart einrastet.

Es sind jene präzisen Verschiebungen, die eine fast körperliche Spannung erzeugen: ein Bild, ein Ton, ein Satzfragment – und plötzlich kippt der Raum. Manche Passagen lesen sich wie poetologische Selbstbefragungen, andere wie Notate aus einem Tagebuch, das die Ränder wichtiger nimmt als die Einträge. Das mag spröde klingen, ist aber von einer eigenartigen, stillen Dringlichkeit. Elmiger vertraut darauf, dass Lücken reden können.

Die Holländerinnen: Roman Gebundene Ausgabe – 19. August 2025
von Dorothee Elmiger (Autor)

Formal wagt „Die Holländerinnen“ viel und verweigert ebenso viel: Linearität, Stabilität, die Illusion einer eindeutigen Perspektive. Wer Plot erwartet, wird hier eher Bewegungsprofile finden, Resonanzen, Rückkopplungen. Doch gerade diese Weigerung, die Welt sauber abzubilden, ist die Stärke des Textes. Elmiger denkt Literatur als Erkundung: Wie lässt sich Nähe schreiben, ohne sie zu vereinnahmen? Wie spricht man über Geschichte, ohne sie zu glätten? Ihr Rhythmus ist schwebend, ihre Bilder sind klar und plötzlich, nie dekorativ. Die Sprache wird zur Landschaft, durch die man sich tastet – mit dem Gefühl, dass hinter der nächsten Biegung etwas Entscheidendes liegt, das sich nur im Vorbeigehen zeigt.

Dass dieser Text berührt, hat mit seiner Konsequenz zu tun: Elmiger hält das Vage aus, ohne ins Ungefähre zu kippen. Sie vertraut der Intelligenz und Sensibilität ihrer Leserinnen und Leser, und sie belohnt beides. „Die Holländerinnen“ ist ein Buch für jene, die sich auf Umwege einlassen, die im Leisen die Lautstärke hören und im Fragment die Fülle. Es bleibt nach dem Zuklappen eine kleine Erhöhung der Wahrnehmung zurück, eine Wärme, die mehr mit Wachheit zu tun hat als mit Trost. Im besten Sinn: Literatur, die nicht erklärt, sondern entfaltet. Und die damit länger bleibt, als es jede Pointe könnte.

Fazit

„Die Holländerinnen“ ist ein mutiger, funkelnd leiser Text, der weniger erzählt als auslotet – und gerade darin seine Wucht findet. Elmiger schreibt eine Prosa, die Vertrauen in die Leserinnen und Leser setzt und sie mit feinen Verschiebungen, Resonanzen und Lücken belohnt. Wer Plot sucht, wird herausgefordert; wer Offenheit liebt, wird reich beschenkt. Dieses Buch bleibt als gesteigerte Wachheit zurück – eine leise, lange nachhallende Erhöhung des Blicks.


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